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Die Familie Kremo

Die Artistenfamilie Kremo
Verfasser: Friedmar John
Die Familie Kremo war die erste der drei Künstlerfamilien, die sich in Groß Köris am Karbuschsee niederließen. Sie erwarb 1892 das Grundstück, auf dem sich heute die Pension „Schwalbennest“ befindet. Angehörige der Kremo-Familie haben bis 1973 am Karbuschsee gewohnt.
Josef Kremo, der Stammvater der Familie, wurde 1854 in Wildenschwert/Böhmen geboren. Schon als Kind war er am Artistenberuf interessiert. Bereits mit 7 Jahren beherrschte er einige artistische Kunststücke. Mit 11 Jahren, 1865, begann seine Artistenausbildung bei Karl Schäffer in Wien. Dieser nahm ihn in seine Familie auf und bildete ihn zusammen mit seinem Sohn Sylvester aus. Das war der Beginn einer Freundschaft, die die Familien Schäffer und Kremo ein Leben lang verband. Da Josef Kremo talentiert und fleißig war, konnte er schon 1866 in mehreren Nummern auftreten. 1873, nachdem er sich zu einem guten Seiltänzer, Trapezkünstler und Parterreakrobat qualifiziert hatte, verließ er die Familie Schäffer. Er arbeitete zunächst allein in verschiedenen Unternehmen, meist in Zirkussen. 1874 hatte er ein Engagement in Italien. Von 1875 bis 1878 leistete er seinen Militärdienst.
Schwere Zeiten
In den folgenden Jahren arbeitete er mit unterschiedlichen Darbietungen im Walhalla Berlin, im
Mosella-Saal in Chemnitz und im Dancers Orpheum in Wien. In dieser Zeit war er viel unterwegs, allein oder mit einem Partner. Nicht immer gab es Gelegenheit für Auftritte. Über seinen Artistenalltag berichtet er in seiner Selbstbiographie: „Es war im Februar (etwa 1879) kalt und hoher Schnee, sodass wir an unserem Gepäckwagen mitschieben mussten, um durch den Schnee zu kommen. In Pilsen gab es keine Gelegenheit zum Spielen, so fuhren wir nach Eger, aber unser Geld war an der Neige. Wir fanden zwar Gelegenheit, bei einem Turnerball mitzuwirken, aber die Sammeleinnahmen waren sehr spärlich, und alle Bemühungen auf unsere Offerten auf Engagements blieben aus. Schließlich hatten wir nicht so viel, um ein Nachtquartier zu bekommen, geschweige zu essen“. In dieser Situation traf er in Dresden auf die Familie Schäffer. Karl Schäffer half ihm mit Geld aus und vermittelte ihm ein Engagement beim Zirkus M. Blumenthal, das zu einem großen Erfolg wurde.
Kinder – ein Segen für die Familie
1879 ging Josef Kremo nach Moskau. Dort, beim Zirkus Ciniselli, arbeitete seine künftige Frau, die ungarische Kunstreiterin Franziska Allinger (1858 bis 1940). 1880 heirateten beide in Wilna. 1881 wurde ihr erstes Kind, Sylvester, geboren. In den Jahren 1881 bis 1897 hatte das Ehepaar 12 Kinder (6 Jungen und 6 Mädchen). 10 der Kremokinder wurden Artisten, ein Kind wurde Musiker. Ein Mädchen starb als Kleinkind. In jenen Zeiten waren Artistenkinder ein Segen für die Familie, sie waren gewissermaßen eine Investition für die Zukunft. Für die Familie Kremo waren ihre Kinder eine bedeutende Grundlage ihres künftigen Erfolges. Schon in frühester Jugend wurden sie für den Artistenberuf ausgebildet und in die Programme einbezogen. Frühzeitiges Trainieren, Erziehung zur Disziplin und Körperbeherrschung waren wichtige Eckpunkte der Erziehung. Aus Josefs Selbstbiografie wissen wir: „Die Kinder werden schon im Alter von wenigen Monaten mit kaltem Wasser abgeduscht … Streng ist auch der Tagesablauf. Nach dem Frühstück drei Stunden Probe, nach dem Mittagessen lernten sie Schreiben und Lesen, danach folgten drei Übungsstunden an Musikinstrumenten. (Jedes Kremokind musste mindestens ein Instrument spielen). Abends geht es zur Vorstellung. Ein Teil isst vor, ein anderer Teil nach der Vorstellung Abendbrot“. In der Familie hatte jedes Kind seine Aufgaben und Pflichten: „Sylvester, der die Geschäftskorrespondenz führt, Karl, der die An- und Abfahrten organisiert, die Mädchen, die die Kostüme herstellen und pflegen und der Mutter im Haushalt behilflich sind“.
Anspruchsvolle artistische Leistungen
Als Artist arbeitete Josef Kremo am Liebsten „hoch in den Lüften“ als Seiltänzer und Trapezkünstler. Aber auch als vielseitiger Parterreakrobat und Kautschukakteur ist er bekannt geworden. Ab 1885 wurden „Vorführungen auf hohen Stelzen“ in das Programm aufgenommen. 1889/90 führte ihn ein achtmonatiges Engagement nach Buenos Aires. Dort zeigte er erstmals die „fliegende Trapezarbeit“. Um 1900 traten die Familien Kremo und Schäffer gemeinsam mit einer Ikarier-Aufführung auf. 1908 traten die Kremos in Südafrika auf, 1910 führte sie eine Tournee nach Australien. 1912 waren sie in Nordafrika und 1913 in Nordamerika engagiert. 1913 trat die Familie Kremo in Marseille auf. Bekannte Auftrittsorte in Berlin waren der Wintergarten und die Scala. Ihre größten Erfolge als Artistenfamilie hatten die Kremos in den Jahren zwischen 1890 und dem 1. Weltkrieg.
Großfamilie Kremo
Als sich die Familie 1892 in Groß Köris niederließ, war sie schon eine Großfamilie mit 10 Kindern (die beiden letzten Kinder sind in Groß Köris bzw. Berlin geboren). Hochachtung gebührt Josef Kremo, insbesondere aber seiner Frau, die neben ihren Bühnenauftritten diese wirbelnde und lebensfrohe Kinderschar nicht nur versorgen, sondern auch erziehen und auf die täglichen Auftritte vorbereiten musste. Am Anfang wurden die Kinder durch die Mutter unterrichtet oder gingen in Groß Köris zur Schule. Später hatte die Familie einen Lehrer, der die Familie auch auf den Reisen begleitete. Überlieferte Fotos zeigen, dass das Wohnhaus ursprünglich einstöckig war und bescheideneAbmessungen hatte. An der Seeseite befand sich eine Veranda, auf der sich die Familie gern versammelte. Durch verschiedene Anbauten wurde zusätzlicher Wohnraum für die heranwachsende Kinderschar geschaffen. Angesichts der Größe der Familie kamen die Kremos nicht ohne Haushaltshilfe aus. Im „Wendisch-Buchholzer Stadt- und Landboten“ v. 15.12.1909 ist uns folgendes Inserat erhalten geblieben: „Gesetztes Ehepaar, alleinstehend, für Hausverwaltung und häusliche Arbeit (gesucht). Dauerstellung bei fixem Gehalt sofort oder 1. Jan. Offerten mit Details (an) Villa Kremo, Groß Köris“.
An den Rollstuhl gefesselt
Als die Familie nach Groß Köris kam, hatte Josef Kremo bereits eine fast 30-jährige Bühnenerfahrung hinter sich. Jeder seiner Auftritte war mit hohem Körpereinsatz und Risiko verbunden. Auch Stürze blieben nicht aus. Das alles blieb auf die Dauer nicht ohne Folgen, und es kam der Punkt, wo er nicht mehr in der Lage war aufzutreten. Sein letzter Auftritt war 1894 im Swea-Theater in Stockholm. Die letzten Jahre seines Lebens war er an den Rollstuhl gefesselt. In dieser Situation übernahm Sylvester, der älteste Sohn, die Leitung der Artistentruppe „Familie Kremo“. Ihr gehörten 10 Kremokinder an:
Sylvester Kremo (1881 bis 1962) Karl Kremo (1882 bis 1958)
Elvira Kremo (1884 bis 1973) Karolina Kremo (1885 bis 1945)
Eugenie Kremo (1887 bis 1937) Marc Kremo (1888 bis 1945)
Franziska Kremo (1890 bis 1968) Leon Kremo (1891 bis 1971)
Victor Kremo (1891 bis 1919) Emma Kremo (geb. 1892).
Das große Ziel Josef Kremos, einen eigenen Zirkus zu gründen, wurde nicht nur durch seine Krankheit, sondern auch durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges verhindert. 1915 trennte sich die Familie Kremo als Artistenensemble. Ihr letzter gemeinsamer Auftritt war am 30.11.1915 im Breslauer Liebich- Varietee. Josef Kremo starb am 26.12.1917 in Groß Köris im Alter von 63 Jahren. Seine Frau überlebte ihn um 23 Jahre. Sie starb am 27.4.1940 in Groß Köris im Alter von 82 Jahren.
Karrieren der Kremokinder
Nach der Auflösung der Familientruppe begannen die meisten Kremokinder eine eigene Artistenkarriere.
Sylvester Kremo trat zusammen mit einem Partner als „Sylvester Kremo und Albert“ auf. 1929 entstand die Nummer „Kremo und Karlino“, die bis 1939 erfolgreich lief.
Karl Kremo gründete 1916 eine eigene Ikariergruppe, zusammen mit seiner Frau, seinem Bruder Marc und zwei schwedischen Artisten.
Leon Kremo gründete eine eigene Ikariergruppe, die „Leon Kremo Company“.
Karolina Kremo (Lina) wurde zunächst mit der Darbietung „Kremolia und Partner“ bekannt. Weiterhin arbeitete sie mit den Brüdern Franz und Otto (Darras) in der Nummer „La Kremolina und Darras“ und setzte die Tradition der Geschwister Darras fort.
Elvira Kremo begann bereits vor dem 1. Weltkrieg als Soloseiltänzerin zu arbeiten. Ihre erste Nummer kam 1901 in Graz heraus. Sie zeigte als damals Einzige ihrer Zeit den Salto mortale auf dem Seil. Sie war verheiratet mit dem Artisten und Fotografen Johann Hötzel, genannt Hovyn.
Auch die anderen Kremokinder traten in den 1920er und 1930er Jahren mit eigenen artistischen
Darbietungen auf. Lediglich Siegfried Kremo, der Jüngste von den Kremokindern, wurde kein Artist.
Sein Interesse galt der Musik. U.a. wurde er Theater-Kapellmeister.
In den 1920er und 1930er Jahren begeisterten die Kremokinder im In- und Ausland viele Tausende Varieteebesucher. Sie waren in der ganzen Welt präsent. Groß Köris blieb in all den Jahren ihr familiärer Ruhepunkt. In den 1930er Jahren verließen dann die meisten der Kremos nicht nur Groß Köris, sondern auch Deutschland. Markschiess-van Trix, Historiker für Artistengeschichte, schreibt dazu: „Erst die ständigen Reiseprobleme durch die Nazis und mit der Ausländerbehörde waren damals die Auslöser, dass die Brüder mit ihren Familien in die Schweiz gingen“. (Alle Kremos besaßen die Schweizer Staatsbürgerschaft). Lediglich zwei Kremoschwestern blieben in Groß Köris: Karolina Kremo (Lina) wohnte mit ihrem Ehemann Otto Müller bis zu ihrem Tod 1945 in der Villa „Linnerl“ (heute Pätzer Straße 24). Elvira Kremo blieb mit ihrem Ehemann Johann Hötzel (1937 verstorben) in dem elterlichen Stammhaus (Am Karbuschsee 2) bis zu ihrem Tod 1973 wohnen.
Ausstellungen über die Kremofamilie
Im Märkischen Museum Berlin wurde im Januar 1994 eine Ausstellung über die Artistenfamilie Kremo eröffnet. Die Ortschronistin Liselotte Tyralla hat dafür Material aus dem Groß Köriser Archiv zur Verfügung gestellt. An der Eröffnung der Ausstellung am 15.1.1994 nahm eine Delegation Groß Köriser Bürger teil.
Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat 2002 eine Ausstellung „Zirkus, Zirkus. Vier Generationen der Familie Kremo“ organisiert. Anlässlich dieser Ausstellung erschien eine Broschüre mit gleichem Titel,in der die Geschichte der Familie Kremo ausführlich beschrieben ist.
Nachkommen besuchen Groß Köris
Im Mai 1994 weilte die Artistin Belona Kremo zu einem Besuch in Groß Köris. Trotz ihrer 84 Jahre war sie aus New York angereist. Sie ist eine Enkelin von Josef Kremo (Tochter von Karl Kremo). Bis zur Ausreise der Kremokinder in die Schweiz in den 1930er Jahren hatte sie vorwiegend in Groß Köris gewohnt. Sie hatte nach 50-jähriger Abwesenheit großes Interesse, Stätten ihrer Kindheit und Jugend wiederzusehen. Mit älteren Einwohnern tauschte sie Erinnerungen aus. Als Kind war sie in Groß Köris zur Schule gegangen. Sie besuchte das Grab ihres Lehrers Schünke auf dem alten Friedhof.
Auch Kris Kremo, ein Urenkel Josef Kremos, besuchte 1994 Groß Köris. Er hatte ein Engagement im Berliner Wintergarten und nutzte die Gelegenheit zu einem „Abstecher“ hierher. Sein Auftritt im Wintergarten wurde wie folgt angekündigt: „Kris Kremo ist ohne Zweifel der König der Jongleure. Mit viel Charme und Humor lässt der blonde Gentleman aus der Schweiz Hüte, Bälle und Kisten durch die Lüfte wirbeln. So irrwitzig schnell, als hätte er die Schwerkraft weggezaubert. Humorvoll und mit nie versiegender Spielfreude unterhält dieser letzte Vertreter einer berühmtern Artistendynastie sein stets fasziniertes Publikum“. Auch in der Pension Schwalbennest gab Kris Kremo Kostproben seines Könnens. Im Gespräch mit Einwohnern war er sehr interessiert, möglichst viel darüber zu erfahren, wie seine Vorfahren am Karbuschsee gelebt haben.
Lesen Sie in der nächsten Ausgabe Informationen über die Künstlerfamilie Klein.
Erstveröffentlichung: „Teupitzer Nachrichten“ 2013, 4. Ausgabe.